In fast allen Reitställen werden die Pferde regelmäßig trainiert und gymnastiziert – um ihre Körper zu stärken, Muskelpartien fürs Reiten aufzubauen oder Bewegungsabläufe einzustudieren. Was sicherlich aus der Absicht heraus passiert, den Pferden etwas Gutes zu tun und ihrer Gesundheit zu dienen.
Ein Punkt wird dabei aber übersehen: das Pferd auch geistig zu fördern. Denn bei methodisch einstudierter Bewegungspraxis versteht das Pferd nicht, was es da tut.
Sein Körper wird stark, aber der Geist stirbt. In der Folge wird das Pferd oftmals stumpf und lethargisch. Es verliert die Motivation sich zu bewegen, zu denken und irgendwann auch an uns.
Wer mit seinem Pferd eine Beziehung eingehen möchte, die auf reiner Kommunikation basiert, auf Augenhöhe stattfindet und Freiwilligkeit beim Pferd voraussetzt, der darf die geistige Förderung nicht außer Acht lassen. Sonst wird das Pferd nur beim Menschen bleiben, weil es aus der Konditionierung heraus bleibt und sich mit ihm bewegt.
Ein Beispiel zur Verdeutlichung:
Das Pferd soll bei der Bodenarbeit den Kopf zum Menschen drehen, der einfach neben ihm auf Schulterhöhe läuft. Indem der Mensch den Kopf vom Pferd einfach am Seil zu sich zieht, kann er rein von den Bewegungsabläufen her das Kopfdrehen erreichen. Wäre das Pferd aber frei, würde es gehen, da es diese Bewegung und die Art, so zu laufen, nicht versteht.
Damit ein Pferd geistig gefördert wird, muss man also in der Lage sein, mit ihm körpersprachlich zu interagieren. Konkret heißt das: auf welcher Position muss ich gehen, wo habe ich meinen Arm und wie reagiert das Pferd auf meine Bewegungen? Wenn das Pferd frei ist, wird es sich dem Menschen permanent körpersprachlich mitteilen und umgekehrt auf ihm verständliche Antworten des Menschen warten.
Um das Erlernen der Körper- bzw. Pferdesprache geht es bei chi horsing. Wer kommunizieren kann, braucht weder Seil noch Halfter und das Pferd sucht die Nähe des Menschen, weil es weiß, dass der Mensch seinen Kopf und Geist anspricht und es ganzheitlich fördern will. Sobald eine lebendige Unterhaltung zwischen Mensch und Pferd entstanden ist, wird das Pferd motiviert über sich hinauswachsen, sich von innen nach aussen aufrichten. Denn der Körper folgt immer dem Geist. Niemals folgt der Geist dem Körper. Den Körper können wir wie eine Maschine mit Training bemuskeln, der Geist braucht eine andere Ansprache. Können wir beides miteinander in der Bewegung frei vereinen, erfährt sich das Pferd als Ganzes und wird seinen Menschen lieben und ihm nicht auf Grund einer Dressur oder Konditionierung folgen.
Manchmal verlieren die Schüler auf dem Weg mit chi horsing die Geduld und greifen doch wieder auf Methoden zurück, weil das Pferd so lange nicht die gewünschten Reaktionen zeigen wird, solange der Mensch die Kompetenz nicht hat, es richtig anleiten zu können. In seiner Realität als Flucht- und Herdentier könnte für das Pferd sogar gefährlich werden, wenn es sich auf einen inkompetenten Begleiter einlässt. Damit handelt es analog zu den Naturgesetzen: Keiner verlangt vom anderen zerstörerische Dinge, jeder soll gesund und lebensbejahend leben können.
Deswegen ist chi horsing immer auch die Beschäftigung mit den Naturgesetzen, eine lebenslange Arbeit an sich selbst und mit sich selbst. Indem der Mensch lernt, sein Pferd ganzheitlich zu fördern, tut er dasselbe für sich und ebnet sich selbst den Weg zu einem lebensbejahenden Sein.